Was ich in Tokyo an dem Tag des gigantischen Erdbebens ( 2011, Richter-Skala 9,0) erlebte

4. 2. 2021

Am Vormittag des 11. März 2011 kam die Direktorin des Tierhotels* zu uns mit dem Wagen, um unseren weiblichen Dackel Marron abzuholen. Wir hatten einen Tag davor ihr Angebot akzeptiert, Marron auf dem Prospekt für das Hotel erscheinen zu lassen. Marron war bei dem Hotel beliebt, weil sie sehr freundlich war, und mit anderen Hündchen gern spielte.

*In Japan gibt es viele Tierhotels, wo man seine Tiere hinbringen kann, wenn man von seiner Wohnung wegbleiben muss.

Am Nachmittag gegen halb drei war ich beim Hautarzt, da mir die Beine juckten. Wir Patienten saßen auf den Sofas des Wartezimmers auf der zweiten Etage der Klinik und gingen der Reihe nach ins Sprechzimmer hinein.

Gegen Viertel vor drei klingelte plötzlich von allen Handys der Anweseden der Alarm für das große Erdbeben. Wir standen alle auf ( das Warnsystem können wir per Handy benutzen) . Bald brachte das Erdbeben die Gebäude dazu, sehr stark horizontal zu schwingen ( das bedeutete erfahrungsgemäß, dass der Erdbebenherd sehr weit von hier war). Das dauerte lange an, ungewöhnlich lang, nach einer Minute war es noch nicht vorbei. Es war mir zumute, als ob ich auf einem schaukelnden Schiff stehen würde. Normalerweise endeten alle Erdbeben innerhalb ein, zwei Minuten, aber dieses war ein ganz Besonderes. Es war außergewöhnlich lang, und das Beben wurde sogar immer stärker. Die Wände und Fenster des Raums quietschten. Solche Geräuche habe ich nur beim Taifun gehört. Der Arzt erschien aus dem Sprechzimmer begleitet von Krankenschwestern und wies uns Patienten an, das Gebäude zu evakuieren. Ich glaube, bestimmt erinnerten alle sich an das vor etwa zwei Wochen in Neuseeland entstandenen Erdbeben( Richter-Skala 6,3), bei dem 28 Japaner unter dem eingestürzten Gebäude starben.

So gingen alle, Patienten, Krankenschwestern, Angestellte und der Arzt, vom Notausgang des Wartezimmers hinaus und die Nottreppe hinunter zum Fußgängerbereich.

Wir fühlten die Erde noch stark beben und sahen die Telegrafenmaste stark schwanken und die Dräte heftig wogen. Ich sah, dass auf der Straße ein Mann mit Fernsehkamera auf der Schulter die Szene aufnahm. Der Mann war wahrscheinlich Kameraman an der regionalen Fernsehstation.

Am Abend erfuhren wir, dass es auch in Tokyo wegen des Erdbebens einige Menschen ums Leben kamen. Die Decke eines Theaters in Kudanshita fiel auf die Zuschauer, so dass zwei ums Leben kamen und 31 verletzt wurden. In Urayasu, wo Disneyland liegt, gab es Verflüssigung ( das Phänomen entsteht oft bei dem aufgeschütteten Gebiet), so dass viele Häuser verzerrt und Straßen uneben wurden. Es gab da auch an manchen Stellen Spalte zwischen der Fahrbahn und dem Bürgersteig. Ich sah im Fernsehen, dass Wasser aus dieser Spalte sprudelte und die Spalte synchonisch mit dem Beben sich immer wieder öffnete und schloss, als ob sie Passanten verschlucken wollte. Hochhäuser in Shinjuku schwankten stark und lang. Die Leute auf den höheren Etagen konnten nicht stehen. Tische und Stühle im Raum rasten an die Wände.

Das Erdbeben dauerte über 10 Minuten!

Als wir alle endlich wieder ins Gebäude der Klinik zurückkehrten, bemerkten wir, dass unser Handy nicht mehr benutzbar war, wir konnten weder anrufen, noch Mails senden.

Ich dachte, ich sollte nach Hause zurückkehren, denn meine Frau war allein zu Hause.

Aber das Beben schien endlich geendet zu haben. So blieb ich in der Klinik und wurde vom Arzt untersucht. Gerade da gab es wieder ein starkes Erdbeben. Das Sprechzimmer schwankte stark horizontal. Später wußte ich, dass das ein starkes Nachbeben( Richter-Skala 7,3) war, das in der Nähe von Chiba, der Präfektur neben Tokyo, entstand.

Als ich nach der Sprechstunde, um zu bezahlen,im Wartezimmer saß, sahen wir im Fernsehen, dass viele Autos am Strand von einem großen Tsunami weggeschwemmt wurden. Eine Angestellte an der Rezeption, die aus dieser Region, Miyagi, kam, zeigte starken Schauder und ihre Beine zitterten. Auf dem Bildschirm stand ein Untertitel, dass die Richter-Skala dieses Erdbebens 8,8 betrug( später wurde diese vorläufige Anzahl zu 9,0 korrigiert).

Ich kam nach Hause, wir sahen im Fernsehen wieder, wie Häuser, Autos, alles von Tsunamis weggeschwemmt wurden. Die Szenen waren sehr schockierend.

Am Abend kam aber unser Hündchen Marron zurück. Die Direktorin fuhr es mit dem Auto zu uns. Sie sprach nicht über das Erdbeben, ich auch nicht, da die Folgen unaussprechlich schrecklich waren.

Unsere Töchter konnten nicht so schnell wie Marron zu ihren Wohnungen zurückkommen.

Alle Züge stoppten. Auf allen Landstraßen gab es starken Stau. Angestellte konnten nach der Arbeit kein benutzbares Verkehrsmittel finden. Etwa ３,5２0,000 Menschen in Tokyo konnten nur schwer nach Hause zurückkehren. Alle Bürgersteige waren voll von Menschen, als wären sie Demonstranten. Hotelzimmer waren alle besetzt. Die meisten von ihnen mussten zu Fuß gehen. Sie gingen über Nacht zu Fuß nach Hause.

Unsere älteste Tochter Ai wurde glücklicherweise von ihrem Mann mit dem Auto von ihrer Arbeitstelle( Aoyama in Tokyo) abgeholt und konnte erst um 2 Uhr morgens nach Hause zurückkehren.

Als das Erdbeben entstand, war unsere zweitälteste Tochter Maika mit dem Auto gerade in der Saitama Präfektur, die neben Tokyo liegt. Da alle Straßen gesperrt waren, musste sie in einer Gaststätte übernachten, mit der ihre Firma eine geschäftliche Beziehung hatte. Unsere kleinste Tochter Junko, die als Studentin an der Chiba-Uni in einer Mietwohnung in der Präfektur Chiba wohnte, die auch neben Tokyo liegt, musste ganz allein zu Hause sein. Meine Tochter erzählte mir, dass eine Kommilitonin von ihr auch die ganze Zeit allein in ihrer Wohnung blieb. Diese sah ganzen Tag im Fernsehen, wie Ostjapan von großen Tsunamis heimgesucht wurde und war so schockiert, dass es ihr zumute war, als ob alle anderen Japaner weggeschwemmt würden und sie als Einzige in Japan übriggeblieben wäre.

Wir, meine Frau und ich, sahen auch im Fernsehen viele schreckliche Szenen, erfuhren immer wieder bedrückende Nachrichten, wie zB. an einer Hafenstadt seien 10,000 Menschen vermisst, oder an einem Strand lägen hunderte Ertrunkene, usw.

So endete der Tag.

Danach gab es viele Ereignisse nacheinander.

11.März

14.46 Uhr: Das gigantische Erdbeben(Richter-Skala 9,0)

14.51~16.52 Uhr: Die großen Tsunamis suchten alle Hafenstädte Ostjapans heim.

Alle Stromquellen im Kernkraftwerk Fukushima Daichi wurden blockiert. Das kam daher, dass der Überlandleitungsmast wegen des Erdbebens umfiel und Notstromquellen wegen der Tsunami unbenutzbar wurden.

gegen 19.30 Uhr Vermutlich begann die Kernschmelze des Reaktors Nr.1.

12.März

3.59 Uhr: Starkes Erdbeben an der Grenze zwischen Nagano und Niigata Präfektur

gegen 6 Uhr: Alle Brennstäbe im Reaktor Nr.1 schmolzen und durchbohrten den Boden des Reaktors( das vermuteten damals alle Spezialisten, aber die Regierung wollte das nicht veröffentlichen.)

15.36 Uhr: Wasserstoffexplosion am Reaktor Nr.1.

( Der Vidofilm der Explosion wurde von Medien veröffentlicht, aber die Regierung tat so, als ob sie das nicht wüsste.)

13. März

gegen 5.30 Uhr Die Kernschmelze des Reaktors Nr.3 begann.

Von Deutschland kam eine Rettungsmannschaft( 43 Personen und 3 Hunde) an.

14. März

gegen 7 Uhr Alle Brennstäbe im Reaktor Nr.3 schmolzen und durchbohrten den Boden des Reaktors.

11.01 Uhr: Wasserstoffexplosion am Reaktor Nr.3

gegen 22 Uhr: Wasserstoffexplosion am Reaktor Nr.2 wurde verhindert, aber die Kernschmelze schritt fort, so dass vom zerstörten Reaktor eine große Menge radioaktive Stoffe freigesetzt wurden und Ostjapan verschmutzten.

15. März

6.12 Uhr: Wasserstoffexplosion am Werk des Reaktors Nr.4

Der Reaktor Nr.4 war nicht in Betrieb, aber erkühlte bereits verwendete Brennstäbe mit Wasser im Bassin. Wegen des Stromausfalls konnte man das nicht fortsetzen.

Von den überhitzten Brennstäben im Bassin entstanden Wasserstoffe und diese explosierten.

22.31 Uhr: Starkes Erdbeben genau unter dem Fuji( damals wurde nur davon berichtet, dass der Erdbebenherd „im Osten von Shizuoka“ lag.)

18.März

TEPCO(Tokyo Electric Power Company Holdings) erklärte, dass „die Brennstäbe nicht schmolzen“.

April

Im April entwickelte die US Militär eine Rettungsaktion die „Tomodachi(Freunde)“-Operation in Fukushima. Dabei wurde die Crew auf dem Flugzeugeträger Ronald Reagan der Radioaktivität ausgesetzt.

19. April

Der Kabinettsekretär leugnete die Tatsache, dass alle Stäbe schmolzen und der Boden des Reaktors zerstört war.

24. Mai

Die Japanische Regierung erkannte erst am 24. Mai 2011 die Tatsache an, dass die Kernschmelze eingetreten war.

Am nächsten Tag, am 12. März, 13 Stunden nach dem gigantischen Erdbeben erschütterte ein anderes starkes Erdbeben( Richter-Skala 6,7, Oberfläche-Stärke 6 ^stark) die Grenze zwischen Nagano und Niigata Präfektur. Das inlandstypische Erdbeben wurde vom gestrigen gigantischen Erdbeben verursacht. Die beiden Erdbebenherde waren voneinander etwa 350km entfernt. So etwas hatten wir noch nie erlebt und erstaunten über den Umfang des gigantischen Erdbebens. Bei diesem Nachbeben starben in Nagano drei Menschen, 12 Menschen wurden verletzt und über 500 Häuser wurden teilweise oder völlig zerstört.

Am Morgen des 12. März wurden wir vielmals vom Warnalarm des Handys geweckt. Es gab Erdbeben in Tochigi um 4.32 Uhr, in Kanagawa um 6.19 Uhr, in Nagano um 6.34 Uhr. ( Als es aber in Nagano früher um 3.59 Uhr ein stärkeres Erdbeben gab, versagte das noch unausgereifte Warnsystem.)

Am Nachmittag des 12. geschah eine Wasserstoffexplosion am Reaktor Nr.1, am Morgen des 14. die am Reaktor Nr.3 und am Morgen des 15. die am Reaktor Nr.4.

Obwohl die Regierung (damalige Regierungspartei war die Demokratische Partei) die Kernschmelzen nicht veröffentlichte, wurden Ostjapaner von starker Angst ergriffen.

An diesen Tagen zitterte meine Frau vor Angst.

Es gab in Bassins an vier Rektoren insgesamt 2,724 Kernbrennstabbündel. Ein Bündel ist etwa 4,5 m lang und 250kg schwer. Am Bassin vom Reaktor Nr. 1, 2, und 3 sank der Wasserstand, so dass sich die Spitzen der Bündel über der Wasseroberfläche zeigten.

Der sich über der Wasseroberfläche zeigende Teil des Bündels überhitzte und setzte radioaktive Strahlung frei. Um das zu verhindern musste man viel Wasser ins Bassin gießen. Andereseits brauchten die zerbrochenen Reaktoren auch viel Wasser, um die geschmolzenen Brennstäbe zu kühlen. Auf jeden Fall vermehrte sich radioaktiv verschmutzes Abwasser. Dazu wurde ein Tank nach dem anderen gebaut.

(Das Abwasser betrug im Oktober 2020 1,200,000 t und es wird 2022 keinen Raum mehr für den Tankbau geben. Die Regierung plante, das Abwasser ins Meer abzulassen.*)

*Die Regierung behauptet, das Abwasser sei nicht gefährlich, weil es durch ALPS( Advance Liquid Processing System) gesiebt und auch mit viel Wasser verdünnt wird. Aber das hat keinen Sinn, da erstens ein sehr giftiger Stoff Tritium durch ALPS nicht gesiebt werden kann und zweitens die Menge des giftigen Tritiums sich nicht ändert, auch wenn das Abwasser mit viel Wasser verdünnt wird. Das können auch Grundschüler verstehen. TEPCO veröffentlichte sogar im September 2018, dass ALPS nicht ganz richtig funktienierte. 84 % des Abwassers enthielt mehr radioaktive Stoffe als zugelassen. Das heißt, dabei handelt es sich nicht nur um das Tritium, sondern auch um andere radioaktive Stoffe. Fischer in Fukushima sind natürlich gegen den Plan der Regierung.

Die Deutsche Botschaft in Tokyo wurde nach der Aufforderung des deutschen Ausswärtigen Amtes am 16. März evakuiert. Alle Beamten flohen nach Osaka oder kehrten nach Deutschland zurück.

Am Abend des 14. wurden eine große Menge radioaktivie Stoffe freigesetzt und diese verbreiteten sich weit. Am 15. wurde überall in Ostjapan hohe Radioaktivität gemessen; 100 mal mehr in Nordibaraki, 40 mal mehr in Saitama. In Tokyo wurde auch Jod und Cäsium gemessen( das bedeutete, dass Kernschmelze entstand).

Einige Tage lang wurde in Ostjapan( inkl. Tokyo) „geplanter Stromausfall“ in die Praxis umgesetzt, angeblich aus dem Grund, dass es an Strom mangelte, weil die Tokyo mit Strom versorgende Kernkraftwerke in Fukushima nicht funktionierten. Tokyoter mussten jeden Morgen bestätigen, um wieviel Uhr der Stromausfall begann, und wenn das in der Nacht begann, mussten wir dunkle Nächte mit Laternen verbringen.

Aber später, als der geplante Stromausfall zu Ende kam, bemerkten wir, dass das nicht nötig gewesen war, da von anderen Präfekturen angebotener Strom schon den Mangel ausgleichte. Wahrscheinlch zwang uns die Regierung zum geplanten Stromausfall, um uns dazu zu überreden, dass wir Atomkraftwerke unbedingt brauchen.

Meine deutschen Bekannten machten sich Sorgen um mich und sandten mir von Deutschland Emails. Ein Leser meiner deutschen Homepage war so gut, dass er für meine Familie sein Haus in Deutschland als Zufluchtsort anbieten wollte.

Damals wurden viele Kinder in Fukushima der Radioaktivität ausgesetzt und manche von ihnen leiden jetzt unter Schilddrüsekrebs. Ähnliches geschah auch beim Chernobyl Super Gau. Aber diese Tatsache will die japanische Regierung nicht anerkennen. Sie will sogar die Untersuchung der Gesundheit der Kinder dort reduzieren. Das finde ich verantwortungslos, inhuman und kriminell. Ich spende jeden Monat ein bisschen Geld für die Bürgerinitiative, die die Kinder in Fukushima medizinisch behandelt.

Hoffentlich erinnern sich auch die vergesslichen Japaner anlässlich des zehnten Jahrestags, des 11. März 2021, an das Erdbeben in Ostjapan und an die unter zerbrochenen Reaktoren liegenden geschmolzenen Brennstäbe( alles zusammen 880 t schwer). Die Bewältigung dieses Problems scheint nahzu unmöglich.

Skizze vom Kernkraftwerk Fukushima Daiichi

Der 15 m hohe Tsunami suchte das Fukushima Daiichi Kernkraftwerk heim, das in 10 m Höhe liegt.

Alle Kernkraftwerke in Japan liegen am Meer, da man viel Wasser braucht, um Brennstäbe im Reaktor und bereits verwendete Brennstäbe im Bassin zu kühlen. Deswegen sind die Kernkraftwerke immer der Gefahr der Tsunamis ausgesetzt.

Die Regierung behauptet, die Kernkraftwerke liegen auf höherem Boden als der zu erwartende höchste Tsunami.

War das Kernkraftwerk Fukushima Daiichi nur eine Ausnahme?