Das Archiv der Kolumne der WocheMai 2000
27.5
Es gibt einige ehemalige StudentInnen von mir, mit denen ich noch Kontakt habe. Eine von ihnen leidet unter starken Depressionen und ruft mich ab und zu an, wenn sie sich besonders schlecht fühlt. Vorgestern rief sie mich wieder an und sagte, sie wolle sterben und berichtete mir von ihren vorangegangen Tagen. Am Tag vorher wollte sie von einem Gebäude springen, aber da es nicht hoch genug gewesen sei, habe sie dieses Vorhaben aufgegeben. Dann sei ihr der Gedanke eingefallen, sich mit Schlafmitteln umzubringen. Sie habe bei einer Apotheke angerufen, um zu erfahren, was passiert, wenn sie zwei verschiedene, von ihrem Arzt verschriebene Schlafmittel, gleichzeitig einnehme. Der Apotheker habe geantwortet, sie möge ihren Arzt fragen.
Sie sprach fließend, was bei Patienten, die an Depressionen leiden nur selten vorkommt. Dennoch bin ich davon überzeugt, daß sie wirklich krank ist. Sie mußte ihr erfolgreiches Musikstudium wegen ihren Depressionsanfällen abbrechen. Sie mußt immer alles perfekt machen. Ich weiß, daß dieser Charakterzug ein Anlaß zu Depressionen sein kann. Sie ist gebildeter als viele andere MusikstudentInnen und kann sich sowohl mündlich als auch schriftlich sehr gut ausdrücken. Was sie schreibt ist sehr künstlerisch. Sie schreibt schön, sie läßt ihrer Phantasie freien Lauf.
Sie behauptet, ihre Persönlichkeit sei zweigespalten. Ihre andere Seite sei die von einem vierjährigen Mädchen und wenn dieses zum Vorschein käme, müsse sie sich auch einer Vierjährigen entsprechend benehmen. Dann quengele sie, schreie laut und wolle sich an anderen abreagieren.
Sie sagte, in letzter Zeit bummele sie herum, ohne zu wissen, was sie machen solle. Wenn sie andere auf der Straße scheinbar zielbewußt ihren Weg gehen sehe, fühle sie sich einsam und ausgruppiert. Ich antwortete, die Leute bildeten sich nur ein, daß sie in dieser Gesellschaft eine Rolle spielen würden. Darauf fragte sie mich, was sie denn für eine Rolle spiele. Ich erinnerte mich daran,
daß sie bei einem Spaziergang die Schönheit der Natur bewunderte und ihre Gefühle darüber schön beschreiben konnte. So antwortete ich ihr, ihre Rolle sei es, die Schönheit der Natur zu fühlen und dieses Gefühl in schöne Worte zu verwandeln. Das schien sie zu überzeugen. Sie klagte darüber, daß niemand außer mir sie verstehe. Am Ende des Gesprächs sagte sie, sie fühle sich nun wieder wohler. Das freue mich sehr, antwortete ich ihr.
Wenn ich von ihr einen Brief erhalte lege ich meiner Antwort immer ein paar Geschichten aus meiner Homepage bei. Sie liest sie sehr gerne. Ich weiß nicht, ob ich ihren Krankheitszustand wirklich nachvollziehen kann. Ich bin auch keine Momo und kann ihr nicht so zuhören, daß sie ihre Probleme selbst lösen kann. Selbst wenn dem so wäre, ist es fraglich, ob sie sich selbst helfen könnte, da es sich immerhin um eine Geisteskrankeit handelt. Ich fühle, was ich für sie tun kann, ist nur sehr beschränkt. Aber ich bin immer gerne bereit ihr zu helfen, wenn ich von ihr darum gebeten werde.
19.5
In meinem Literatur- Kurs hatten meine Studenten und Homepageleser das letzte Mal die folgende Aufgabe: Geben Sie einen Kommentar zu dem Auszug aus Michael Endes " Momo".
"Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war: Zuhören. --- Sie konnte so zuhören, daß ratlose oder unentschlossene Leute auf einmal ganz genau wußten, was sie wollten. --- Und wenn jemand meinte, sein Leben sei ganz verfehlt und bedeutungslos und er selbst nur irgendeiner unter Millionen, einer, auf den es überhaupt nicht ankommt und der ebenso schnell ersetzt werden kann wie ein kaputter Topf - und er ging hin und erzählte alles das der kleinen Momo, dann wurde ihm, noch während er redete, auf geheimnisvolle Weise klar, daß er sich gründlich irrte, daß es ihn, genauso wie er war, unter allen Menschen nur ein einziges Mal gab und daß er deshalb auf seine besondere Weise für die Welt wichtig war. So konnte Momo zuhören !"
An diesem Kurs nahm eine ältere Frau teil, die sich wegen Polio nicht bewegen kann. Ihr Mann leidet auch unter derselben Krankheit. Das Ehepaar muß rund um die Uhr gepflegt werden. Aber es ist sehr "aktiv". Der Mann hält oft auf dem Rollstuhl einen Vortrag, dessen Thema die Selbstständigkeit der Behinderten ist. Seine Frau liest gerne und schreibt von Zeit zu Zeit mit viel Mühe. Eine Bekannte von mir besucht das Ehepaar als Heilpraktikerin einmal wöchentlich. Sie teilte mir mit, daß die Frau sich für meinen Kurs interessierte, zumal " Momo" ihre Lieblingsgeschichte sei.
Sie ließ mir ihren Kommentar per Fax schicken und äußerte ihre Zusage besonders zu der Stelle, " daß er deshalb auf seine besondese Weise für die Welt wichtig war.".
An ihrer nur schwer lesbaren Handschrift kann man ihren starken Willen zum Leben erkennen. Der Inhalt ihres Kommentars zeigt ihre positive Weltanschauung. Ich kopierte ihre Handschrift und verteilte ihn mit anderen Kommentaren unter meinen Studenten. Diese Schrift schien auf die jungen Studenten einen starken Eindruck zu machen. Ich bin davon überzeugt, daß sie durch ihre Nachricht zum Leben ermütigt wurden.12.5
Der Bericht von den brutalen Fällen ist von meiner deutschen Privatlehrerin korrigiert. Ich danke ihr dafür, daß mein Aufsatz verständlicher geworden ist. Der Stil des Berichtes ist einmal objektiv, einmal subjektiv, er ist gleichzeitig wie ein Bericht und ein Tagebuch, Kommentare fehlen auch. Das alles kam aber daher, daß ich da keine Zeit mehr hatte, den Text zu verarbeiten. Meine Lehererin ist so gut, daß sie den stilistisch gemischt wirkenden Text so gut wie möglich korrigiert. Weil sie mich fragte, was der Busfahrer machte, wieviel Männer im Bus waren, fügte ich nach ihrer Korrektur zu Hause einige Sätze hinzu. Wenn diese unverständlich ist, habe ich daran schuld.
Wahrscheinlich wird bald unser Briefkasten abgenommen, weil sein Dach aus Rinde von Krähen gepickt wird, die jetzt für ihre Jungen auf Bäumen neue Nester bauen. Zur Erinnerung an unseren Briefkasten zeige ich unten sein Bild. Es schneite, als ich es aufnahm.
10.5
Ins Forum dieser Homepage wurde ein sehr netter Kommentar zu meinem Aufsatz "Eine Erinnerung an meine Mutter" eingetragen.
Meine Schwiegermutter fing in unserem kleinen Teich einen Frosch, der so süß quakt. Nachdem meine Kinder ihn alle gesehen hatten, wurde er befreit und quak jetzt wieder freudig.
7.5
In den letzten Tagen gab es in Japan zwei brutale Verbrechen. Das eine war in dem Sinne schockierend, daß ein 17jähriger Musterknabe am Abend des 1. Mai nur aus Neugierde eine 65 Jahre alte Hausfrau erstach. Ihre Leiche hatte über 40 Wunden. Der Junge soll sowohl lernbegierig als auch sportlich sein und ab und zu mit seinen Freunden ernst über Leben und Tod gesprochen haben. Vor der Tat soll er ein starkes Interesse am Tod gezeigt haben. Dieses entwickelte sich aber leider nicht zum philosophischen Nachdenken sondern verursachte das blutige Experiment, durch dieser Folge ein Mensch starb. Der Viezeschuldirektor, der ihn gut kennt, gestand, das er nicht weiß, woran er einen Schüler beurteilen kann.
Das andere Verbrechen wurde auch von einem 17jährigen Jungendlichen begangen, der wegen der Möglichkeit der Gewalttätigkeit in einer Heilanstalt war. Als ihm am 3. Mai wegen der anstehenden Feiertage (Goldene Woche) erlaubt wurde, nach Hause zurückzukehren, kaufte er umgehend ein Metzgermesser und stieg in Saga (westl. Kyuushuu) in einen Bus nach Fukuoka (nordl. Kyuushuu) ein. Den Bus entführte er 13.35 Uhr, indem er das Messer an den Hals eines sechsjährigen Mädchens hielt und sie zu seiner Geisel machte. Damit zwang er den Busfahrer zu seiner Anweisung zu folgen. Er erklärte allen Passagieren, sie führen nicht nach Fukuoka, sondern in die Hölle.
Nach einer Weile erlaubte er einer Frau den Bus zu verlassen, um auf die Toilette zu gehen. Dies geschah unter der Bedingung, daß er einen Passagier ermorden würde, käme sie nicht zurück. Sie verlies den Bus und verständigt per Notruf die Polizei über die Busentführung. Als der Täter glaubte, die Frau sei entflohen, verlor er die Nerven und erstach eine ältere Frau. Sie war früher Lehrerin und saß auf dem vordersten Platz, von wo aus sie dem Jungen die Dummheit abraten wollte.
Nach der Verständigung wurde der Bus von der Polizei per Einsatzwagen und Hubschrauber verfolgt und beobachtet. Als eine andere Frau sich vom Fenster des fahrenden Busses warf, stach der wütende Junge auf einen weiteren weiblichen Passagier ein. Bei einer Ausfahrt verlangsamte der Bus sich und ein älterer Mann sprang ohne bemerkt zu werden vom Fenster eines der hinteren Plätze hinunter, wohin der Täter ihn und die anderen männlichen Passagiere hingesetzt hatte, um sie von sich fern zu halten.
Doch als der brutale Junge feststellte, daß ein weiterer Mitfahrer fehlte, geriet er außer sich und stach auf noch eine weitere Frau ein. Der Bus hatte inzwischen 300km zurückgelegt und kam in Hiroshima bei einer Ausfahrt zum Halten, wo die Polizei mit dem Täter zu verhandeln begann. Jedoch konnten nur vier der Passagiere befreit werden, von denen drei Männer waren. Dadurch gab es im Bus keine Männer mehr bis auf den Busfahrer. Spät in der Nacht wurde der Bus von einer Sturmtruppe umgeben, die zunächst in Deckung blieb. Gegen fünf Uhr morgens am 4. Mai, als der Täter sich kurz von dem sechsjährigen Mädchen trennte, stürmte die Truppe mit Tränengas den Bus, nahm den Jungen fest und rettete neun Frauen.
Nach 15 Stunden und 30 Minuten konnte diesem blutigen Verbrechen ein Ende gesetzt werden. Opfer: eine Tote und fünf Verletzte. Das arme Mädchen wurde zur vorsorglichen Untersuchung ins Krankenhaus gebracht, aber am nächsten Tag schon entlassen. Allerdings ging es am folgenden Tag aus Angst nicht zur Schule.
Das Mädchen unternahm das erste Mal eine Busfahrt alleine. Hoffentlich wird ihre psychische Verletzung bald geheilt werden.
4.5
Man kann unten sehen, wie wir gestern gewandert sind, wie wir eine Pause auf einem Flussbett verbracht haben.
3.5
Auch Tokio hat am westlichen Ende eine Gebirgslandschaft. Dort gibt es ein Dorf namens Hinohara. Das ist unser Kurort. Heute haben wir ihn besucht. Wir konnten uns gut erholen.
1.5
Der Text " Eine Erinnerung an meine Mutter" wurde auch von meiner deutschen Privatlehrerin korrigiert. Es freut mich sehr, daß der Text veständlicher geworden ist. Die anderen Texte auf meiner Homepage wurden außer dieser Kolumne schon von anderen Deutschen korrigiert.
